Meldung zum Projektabschluss
Im Betrieb von Versorgungsinfrastrukturen werden Potenziale nachfrageseitiger Flexibilisierung für die Stabilisierung der Versorgung in vielen Fällen übersehen. Um kritischem Wettergeschehen und Krisenereignissen wie der aktuellen Energiekrise zu begegnen, setzen Versorger oft einseitig auf eine Ausweitung der Angebotskapazitäten für Spitzennachfragezeiten. Dabei könnten die Verbraucher und Kunden als Partner der Versorger durch flexibles Konsumverhalten eine aktive Rolle übernehmen. Das Forschungsprojekt FLEXITILITY liefert mit Abschluss seiner dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsphase hierzu neue Erkenntnisse.
Im Fokus des Projektes standen technologische und betriebliche Flexibilisierungsansätze in den Bereichen Wasser- und Energieversorgung. Gemeinsam mit Vertretern von vier kommunalen Versorgungsunternehmen und einer städtischen Entwicklungsgesellschaft hat das Forschungsteam Lösungen und Geschäftsmodelle entwickelt
- für dezentrale Wärme- und Speicherkonzepte in Tiny Houses,
- für tageszeitabhängige Tarifmodelle und verhaltensökonomische Strategien (sog. „Nudges“), zur Lenkung von Wasser- und Stromverbräuchen,
- für die flexible Wiederverwendung von gereinigtem und hygienisiertem Abwasser,
- zur dezentralen Trinkwasser-Zwischenspeicherung bei Mehrfamilienhäusern und anderen Wasser-Großkunden,
- zur Modellierung der Effekte einer Flexibilisierung von Trinkwasserversorgungen und
- zur Resilienzbewertung von Versorgungsunternehmen.
Für Kleinstgebäude – sogenannte Tiny Houses – haben die Energieavantgarde Anhalt (EAA) und die Stadtentwicklungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen (STEG) gemeinsam mit dem Wolfen-Nord e.V., interessierten Bürgerinnen und Bürgern und der Stadt Bitterfeld-Wolfen verschiedene integrierte Ansätze für eine klimaneutrale Wärmeversorgung sowie für dezentrale Wasserwiederverwendung entwickelt. Im Fokus stand dabei, Potentiale für flexiblen Infrastruktur- und Ressourceneinsatz zu identifizieren, z.B. durch angepasste Speicherlösungen. Planung und Bau der Gebäude werden in dem Citizen Science-Folgeprojekt „Experimentelles Wohngebiet in Wolfen-Nord“ weiter wissenschaftlich begleitet.
Mit dem Ziel, Spitzenlasten in Trinkwasser- und Stromnetzen zu verringern, wurden Anreize zur Verschiebung von Verbräuchen entwickelt. Die Wirkung von fünf flexiblen Tarifmodellen und verschiedenen begleitenden Nudges wurde in Verbraucherbefragungen und Reallaboren ermittelt. Die über 1000 beteiligten Haushalte haben in zwei digitalen Reallaboren über jeweils eine Woche ihre Wasser- und Stromverbräuche entsprechend Vorgaben des Projektpartners co2online erfolgreich angepasst. In mehreren darauffolgenden Befragungen hat das Flexitility-Team die Wirksamkeit von Tarifmodellen, Verbraucherinformation und gezieltem Nudging erhoben und plausibilisiert. inter 3 wird in der nun folgenden Umsetzungsphase von Flexitility die erfolgreichsten Nudges und Tarifmodelle in der Praxis erproben.
Wasserwiederverwendung wird unter den Bedingungen von abnehmenden Niederschlägen und ausgedehnten Trockenheitsperioden entscheidend zur Resilienzsteigerung von Landwirtschaft und Städten beitragen. In Flexitility wurde in Zusammenarbeit von inter 3, dem Herzberger Wasser- und Abwasserzweckverband HWAZ sowie der Stadt Herzberg ein Geschäftsmodell zur landwirtschaftlichen Bewässerung unterschiedlicher Futtermittel mit gereinigtem und hygienisiertem Abwasser konzipiert, welches bereits auf großes Interesse seitens landwirtschaftlicher Akteure stößt. Unter den Marktbedingungen von Anfang 2021 konnte im Vergleich von Investitions- und Betriebskosten sowie den möglichen Mehrerträgen die Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells nachgewiesen werden. Zudem wurde ein Risikomanagementplan skizziert, welcher zur Prävention von Verunreinigungen von Wasser, Boden, Luft und landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit Keimen oder Schadstoffen dient. Die Wasserwiederverwendung soll in den folgenden zwei Jahren im Rahmen der Flexitility-Umsetzungsphase für die Kläranlage Übigau und eine angrenzende Ackerfläche praktisch erprobt werden, begleitet durch ein Risikomonitoring.
Zur Resilienzsteigerung von Wasserversorgungsnetzen in heißen Trockenheitsperioden können Zwischenspeicher eine bedeutende Rolle spielen: Ziel ist, die Notwendigkeit einer kostenintensiven und aus hygienischer Sicht bedenklichen Vorhaltung von ausreichenden Versorgungskapazitäten für nur wenige Tage mit hohen Spitzenbedarfen zu umgehen. Nach einem in Flexitility entwickelten Konzept der BTU Cottbus ermöglicht die Installation trinkwasserkonformer Behälter im Hausanschlussbereich die Abdeckung der Tagesbedarfe einschließlich aller Spitzenlasten der angeschlossenen Endverbraucher. Die Speicher werden mit eigener Druckhaltung ausgestattet und mit einem nur geringen, kontinuierlichen Volumenstrom befüllt, so dass sie die Spitzenbedarfe nicht an das Netz weitergeben. Dies spart nicht nur zu Zeiten hoher Nachfrage Betriebskosten und ggf. Investitionen für den Leitungsausbau ein. In der Flexitility-Umsetzungsphase sollen nun drei Zwischenbehälter bei unterschiedlichen Großkunden eingesetzt werden, um technische Umsetzungsmodalitäten und Betriebsvarianten zu erproben und hygienische Sicherheitsaspekte zu klären.
Zur Untersuchung der Flexibilisierung von Trinkwasserversorgungen hat das Fraunhofer IEE eine Simulationsumgebung aufgebaut, welche den stündlichen Trinkwasserverbrauch eines Versorgungsgebietes nach insgesamt sieben Verbrauchsarten unterscheidet und eine mögliche Erhöhung aufgrund von Trockenheit und Hitze abbildet. Für die unterschiedlichen Verbrauchsarten wurden auf Grundlage der im Projekt durchgeführten Umfragen Flexibilitätspotenziale bestimmt und zusammen mit Trinkwasserspeichern in Einsatzoptimierungsrechnungen überführt. Als Optimierungsziele wurden die Minimierung der Spitzenlasten sowie der Pumpkosten angesetzt, wofür auch die Entwicklung des Strompreises abgebildet wurde. Die insgesamt 15 durchgeführten Optimierungsvarianten kommen zu dem Ergebnis, dass sich durch Flexibilitätseinsatz bis zu 32% der Spitzenlasten und bis zu 17% der Pumpkosten reduzieren lassen. [https://doi.org/10.24406/publica-279]
Schließlich hat die BTU Cottbus ein indikatorbasiertes „Bewertungstool Klimaresilienz“ für Infrastrukturbetreiber entwickelt. In der nun gestarteten Umsetzungsphase wird es umfassend praktisch getestet. Es dient dazu, kommunale Versorgungsinfrastrukturen im Hinblick auf ihre Widerstandsfähigkeit beziehungsweise Bewältigungsfähigkeit bei Extremwetterereignissen zu bewerten.